Angelika Preußer

Home
Nach oben

Späte Freiheiten

aus: Balsam für die Seele

 

Der Koffer und das kleine Handgepäck waren gepackt. Herbert Sonntag freute sich riesig auf das vor ihm liegende Wochenende, wenn auch mit Herzklopfen. Diese hatten aber bei weitem nichts mit seinem Alter, er war 72 Jahre, zu tun. Nein, das war die Liebe. Dabei hatte er seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren eher gedacht, er würde ihr schon bald in seiner tiefen Trauer folgen. Erst als sein Hausarzt ihn drastisch vor die Alternative "Kur oder Kiste" stellte, kam die Einsicht. Als ehemaliger Filialleiter einer Bank lebte er in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen und so wirkte die Sanatoriumskur wie ein wahrer Jungbrunnen. Nicht zuletzt weil dieser Therese Wolf hieß. Mit ihr lernte er wieder zu Leben. Zwar bemerkten seine Kinder schnell seine Veränderungen, aber bei Herberts erzkonvervativen Lebenseinstellung war der Gedanke an eine neue Frau völlig abwegig. Her­bert ließ sie in dem Glauben und vermied es, dass seine Kinder Therese zu Gesicht bekamen. Noch! Denn an diesem Wochenende sollte die Entscheidung bezüglich einer gemeinsamen Zukunft mit Therese fallen.

Eine noble Hotelanlage, mit allem Komfort, hatte Herbert als Rahmen für angemessen gehalten. Auch diese Seite des Lebens hatte er erst durch Therese kennen gelernt. Früher, du liebe Zeit, das war so weit zurück, war er ein Pfennigfuchser gewesen, passend zu seinem Beruf. Außerdem hatte er fünf Kinder und die Familiengründung fiel in eine nicht gerade rosige Zeit. Da musste man das Geld zusammenhalten und richtig wirtschaften. Heute konnte er die Früchte seiner Saat genießen! Mit seiner verstorbenen Luise hätte er einen solchen Wandel nie vollzogen. Sie hätten ihr Leben weiter so sparsam gelebt, wie sie es nun einmal kannten.

Therese sah umwerfend in dem lindgrünen Bademantel aus, als sie untergehakt mit Herbert in die Fitnessoase der Hotelanlage ging. Herbert hatte bei seiner Kur erstmals eine Sauna betreten und sich dabei einfach großartig gefühlt. Dieses gute Gefühl lag nicht zuletzt auch an Therese, die ihm ausgerechnet auf der Saunabank Platz machte.

 Im Duschraum war es wie in einer Waschküche. Herbert entdeckte noch zwei freie Duschen. Eine ausgelassene Stimmung herrschte dort und beim Einseifen von oben bis unten sahen alle, fast, gleich aus. Therese gab Herbert das Duschmittel und ihm fiel es prompt aus der feuchten Hand. Nass wie er war, trat er auch noch beim Aufheben der Flasche einer jungen Dame in die Hacken und mit dem Wasser in den Augen kam er fast blind suchend einer anderen Dame an die Waden, die, selbst eingeschäumt, erschrocken kreischte. Schnell half Therese Herbert aus dieser Lage und reichte ihm einen halbwegs trockenen Waschlappen. Er putzte sich durchs Gesicht und wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzten.
"Opa, du?" kreischte die junge Dame auf der einen Seite, die Augen erschrocken aufgerissen, ihn von oben bis unten musternd und als auf der anderen Seite, wie ein Echo:
 "Papa, du?" erscholl, hatten sie nicht nur alle Aufmerksamkeiten auf sich gezogen, es herrschte auch schlagartig peinliche Stille. Als Therese dann auch noch Herbert ansprach, erklang zweistimmig ein überraschtes "Herbert?" und ihre Blicke wanderten zwischen der Dame und Herbert irritiert hin und her.
"Was machst du denn eigentlich hier, Papa?" fauchte seine Tochter Rita ihn von der Seite an.
"Wonach sieht es denn aus?" fragte Herbert gelassen. 

"Das kann ja wohl nicht wahr sein!" giftete ihn auch noch seine Enkelin Julia an. "So was peinliches, und das vor meinen Freundinnen!" gestikulierte sie mit wütenden Blicken in Richtung zweier Mädchen, die mit gesenkten Köpfen den Duschraum verließen.
"Wenn es dir peinlich ist", konterte' Herbert, "warum gehst du dann in die Sauna, noch dazu in eine gemischte? Ich sehe schließlich auch nicht anders aus als alle anderen Männer, oder?" und begann unbeeindruckt mit seiner Dusche.
"Was machst du eigentlich hier?" zischte Rita ihren Vater an. "Wir sind hier mit Geschäftsfreunden von Jochen und wollen ein erholsames Wochenende verbringen!"
"Na und, ich hindere euch nicht daran. Ich will hier auch ein erholsames Wochenende verbringen. Also, lasst euch nicht aufhalten!" forderte er sie auf und drehte den Duschhahn zu. Er ging zu seinem Handtuch, nahm Therese und machte sich mit ihr auf den Weg in den Schwitzkasten. Dabei drehte er sich noch einmal um und meinte ganz beiläufig:
" Bei passenderer Gelegenheit werde ich euch auch mal Therese vorstellen. Viel Spaß noch", sprachs und schloss hinter sich die Tür.

 
 

Home Nach oben Veroeffentlichungen presse vita links Impressum